Regeln, Werte und Tabus
Wir alle handeln nach gelernten, akzeptierten oder selbst aufgestellten Regeln. Werte und Regeln sind wichtig, damit wir überhaupt Entscheidungen innerhalb einer akzeptablen Zeit treffen können.
Hätten wir keine Regeln, dann müssten wir bei jeder Entscheidung - egal wie klein sie ist - zunächst langfristige Erörterungen mit uns selbst vornehmen, bevor wir uns für diese oder jene Handlung entscheiden könnten. Wahrscheinlich wären wir handlungsunfähig, weil wir in dem ersten Entscheidungsprozess des Tages verharren würden.
Regeln können aus Glaubenssätzen abgeleitet sein, aber auch auf Erfahrungen, gelerntem Wissen, gesellschaftlichen oder juristischen Konventionen, die wir akzeptieren oder aus vielem Anderen entstehen oder abgeleitet werden. Der Ursprung der Regeln, die ein Mensch verwendet, ist extrem vielfältig und in den meisten Fällen weiß er selber nicht, woher oder warum eine solche Regel existiert. Auch die Frage nach dem "Warum gibt es für mich diese Regel" ist im täglichen Leben zumeist irrelevant und häufig schwer zu beantworten.
Regeln bestimmen wesentliche Teile unseres Lebens. Sie bestimmen was wir Essen, wie wir uns kleiden, was wir schön finden, wie wir reden, wie wir uns verhalten und vieles andere.
Regeln begrenzen unsere Handlungsweisen. Regeln setzen einen Rahmen, in dem sich unsere Handlungen bewegen. Sie sind selten so eng gefasst, dass sie nur eine Möglichkeit der Handlung zulassen. Häufiger schließen sie einzelne Handlungsweisen aus ("man tut ... nicht"). Innerhalb dieses Handlungsrahmens fühlen wir uns wohl - wenn wir uns außerhalb dieses Regel-Rahmens bewegen, fühlen wir uns unwohl. Innerhalb dieses Handlungrahmens können wir sehr schnelle Entscheidungen treffen, fühlen uns sicher und sind davon überzeugt, dass wir "das richtige tun" und "die richtigen Entscheidungen treffen".
Jeder Mensch hat seine eigenen Regeln. Werden die gleichen individuellen Regeln auch von anderen Menschen angenommen, dann haben wir Gruppenregeln, Teamregeln, gesellschaftliche Regeln oder Regeln, die einheitlich in einer ganzen Religionsgemeinschaft gelten oder für alle Menschen.
Auch wenn eine Regel von vielen Menschen akzeptiert ist, ist sie nur eine Regel, die von einem bestimmten Individuum angenommen wurde. Dass andere Menschen diese Regel teilen, macht sie nicht besser, wichtiger oder hochwertiger. Es bleibt die Entscheidung jedes Individuums, diese Regel anzuwenden oder auch nicht.
Ein Mensch findet genau die Regeln als richtig, die möglichst gut mit seinen eigenen Regeln übereinstimmen. Ein Mensch wird dann als besonders positiv empfunden, wenn er gemäß seiner eigenen Regeln handelt. Verstößt ein anderer Mensch gegen die Regeln, dann wird das Handeln, das von diesem anderen Menschen ausgeht, als falsch empfunden.
Ein Handeln außerhalb der eigenen Regeln ist ein Tabu. Ein solcher Regelverstoß durch andere Menschen, löst dann eine Vielzahl an Emotionen aus. Die Gefühle liegen irgendwo zwischen einer leichten Verstimmung und blanker Wut. Das Bedürfnis den Menschen zu bestrafen oder bestraft zu sehen ist häufig sehr groß. Es ist allerdings ein allgemein übliches menschliches Verhalten.
Das Brechen von Tabus führt zu großen Emotionen. Fraglich ist allerdings, ob diese großen Emotionen berechtigt sind.
Die Notwendig von Regeln, sowohl für den einzelnen Menschen, als auch für das Zusammenleben menschlicher Gemeinschaften steht außer Frage. Regeln sind für das Funktionieren des Individuums ebenso notwendig, wie für das Funktionieren von Gemeinschaften.
Allerdings scheint es, wenn wir uns das Verhalten verschiedener Menschen und die Regeln verschiedener Gemeinschaften, die über Jahre, Jahrzehnte und bei Religionsgemeinschaften auch über Jahrhunderte mehr oder weniger funktionstüchtig sind anschauen, ziemlich willkürlich zu sein scheinen. Eine buddhistische Glaubensgemeinschaft lebt nach anderen Regeln als ein christliches Kloster. Für die Mitarbeiter der Deutschen Bank gelten andere Regeln als für einen Start-Up in Silicon Valley. In einer islamischen Familie gelten anderen Regeln, als in einer liberalen Wohngemeinschaft im Zentrum von Berlin. Ein Angehöriger der Opus Dei lebt nach anderen Regeln, als ein Vertreter der Wicca Bewegung. Auch wenn wir kurze Zeiträume in der Geschichte unseres eigenen Landes zurückgehen, haben sich die Regeln im Zeitverlauf verändert - ohne dass die Gesellschaften in den vergangenen Jahrhunderten nicht funktioniert hätten. Jede diese Gemeinschaft funktioniert - obwohl die in ihnen geltenden Regeln sehr unterschiedlich sind. Das Leben jedes dieser Individuen funktioniert aus ihrer Sicht hervorragend.
- Kann ich behaupten, dass die Regeln, nach denen ich lebe, allgemeingültig sind?
- Kann ich behaupten, dass diese Regeln, die von mir festgesetzt, für mich gelten, grundsätzlich für alle anderen Menschen gelten müssen?
- Kann ich erwarten, dass ein einzige Mensch nach genau den gleichen Regeln lebt und handelt, wie ich?
Ich denke die Antwort lautet: Nein.
Wenn aber keine der Regeln, die jeder einzelne von uns für sich selber anwendet, weder allgemeingültig, noch für alle Menschen gültig sind und wenn wir nicht erwarten können, dass auch nur ein einziger Mensch genau die gleichen Regel verwendet wie ich, dann ergeben sich daraus ein paar recht interessante Aspekte.